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Thema: "Denkfehler machen arm: Arbeitsmarktregeln, Nachfrage-Ankurbelung, Währungsunionen"
Bei sehr angenehmen Temperaturen referierte Beat Kappeler, Wirtschaftsjournalist der NZZ am Sonntag sowie Le Temps und Autor verschiedener Bücher, an der Universität Zürich zu ökonomischen Denkfehlern, die weltweit und immer wieder von Entscheidungsträgern gemacht werden. Auf den Hinweis des Berichterstatters, dass das Institut universitaire de hautes études internationales der Universität Genf, wo Beat Kappeler studiert hat, in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts Wirkungsstätte von Ludwig von Mises und Wilhelm Röpke war, bemerkte der Referent, dass das Institut trotz dieser Tatsache bereits damals von keynesianischem Gedankengut unterlaufen war. Damit war auch schon eines der Hauptthemen des Abends angesprochen.
Politik versus Markt
Die Politik der letzten 50 Jahre war zunehmend voluntaristisch geprägt.
Es setzte sich nach und nach der „Primat der Politik“ durch, der bis in
unsere Zeit anhält. Heute hingegen schlage nach Kappelers Meinung der
Markt zurück, der Markt dringe „durch alle Ritzen“. Am besten sehe man
dies am Beispiel der strukturellen Krise der Europäischen Union, die an
sich für das kriegsgeplagte und früher von Diktaturen geprägte Europa
ein Segen sei, in ihrer konkreten Ausgestaltung mit Währungsunion und zu
weitgehender Harmonisierung jedoch über das Ziel hinausschiesse. Zudem
verfolge die Europäische Kommission eben diesen Primat der Politik,
unterlegt mit keynesianischer Wirtschaftspolitik.
Arbeitsschutzmassnahmen - Schutz oder Behinderung?
Für Kappeler stellt der (ausgebaute) Arbeitnehmerschutz bloss einen
vermeintlichen Schutz dar, denn oft behindere er die Arbeitsausübung. Er
führe zu Verarmung statt zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der
Arbeitnehmer. Der Referent hat dies an Beispielen der Höchstarbeitszeit
und des Mindestlohns dargelegt: Arbeitnehmer wollen teilweise mehr
arbeiten, dürfen es aufgrund von Überzeitverboten aber nicht. Und falls
doch, wird ihre Überzeit durch Freizeit anstelle von Lohn abgegolten.
Dies sei aber nur selten im Interesse des Arbeitnehmers. In gleicher
Weise wirken generell geltende Mindestlöhne, welche in der Theorie zwar
ein „menschenwürdiges“ Leben garantieren könnten, in der Praxis aber
meistens branchenunspezifisch sind und darum im Resultat bloss
(noch) mehr Arbeitslosigkeit verursachen. Kappeler lobte an dieser
Stelle das Schweizer Arbeitsrecht, weil es ermöglicht,
Gesamtarbeitsverträge an der Leistungsfähigkeit der Betriebe und
Branchen zu orientieren. Dies sei auch das wesentliche Problem der
„Rasenmäherinitiative“, womit der Referent die „Mindestlohninitiative“
meint, welche eine generelle Einebnung aller vertraglichen Mindestlöhne
verlangt.
Verrechtlichung der Arbeit
Kappeler hat mehrere „europäische“ Denkfehler gefunden, welche für die
abnehmende Wettbewerbsfähigkeit Europas im Vergleich zum Rest der Welt
verantwortlich seien: Europa erhebe als Reaktion auf die Globalisierung
den Vorwurf an den asiatischen Kontinent, dass er nur unter genereller
Ausbeutung der Menschen produziert. Auch wenn solche Vorwürfe zu einem
gewissen Grad berechtigt seien, wie das tragische Beispiel einer
eingestürzten Fabrikhalle in Bangladesch zeige, so behindere die
Abwehrhaltung notwendige Reformen der in die Jahre gekommenen
Arbeitsmarktpolitik. Die Globalisierung verlange eine Anpassung an die
neuen Bedingungen, strukturelle Massnahmen in der Arbeitspolitik wären
längst notwendig. Von falscher europäischer Interpretation sei auch die Automatisierung der Produktionsvorgänge geprägt, welche mit zunehmendem Fortschritt in der Technik einherging und einhergeht.
In Europa wurde sozusagen das „Arbeitsdogma“ umgeschrieben: Wer viel
(Überzeit) arbeitet, schadet anderen. Die Konsequenz: Überzeitarbeit ist
zu verbieten. Die Entlassung von Arbeitnehmern erhöht die
Arbeitslosenzahl, schadet infolge der Staatskasse, Kündigung ist also zu
verbieten. Die fundamentale „Verwechslung“ der mikro- mit der
makroökonomischen Ebene sticht ins Auge.
Frankreich als Negativbeispiel
Frankreich, das zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit verliert, sich
trotzdem aber praktisch zum Nulltarif am Bondmarkt refinanzieren kann,
ist das Beispiel von Arbeitsschutzmassnahmen mit negativen Auswirkungen.
So führt Kappeler aus, wie in Frankreich (und teilweise in Südeuropa)
der Arbeiterschutz nach Firmengrösse abgestuft werde. Als logische
Folgen erhöhen französische Firmen nicht die Zahl der Arbeitnehmer,
zergliedern sich rechtlich, was unnötige Kosten verursacht, oder wachsen
gleich im Ausland. Gegenbeispiele seien Deutschland unter Gerhard
Schröder oder Dänemark: Letzterer Staat, ein Paradebeispiel an
ausgebautem Sozialstaat, finanziere die Wohlfahrt (inklusive
Arbeitslosenkasse) durch die Inländer. Exporteure können Steuern und
Abgaben zurückverlangen, weshalb der Export nicht mit zusätzlichen
Lohnnebenkosten belastet werde. Die Wettbewerbsfähigkeit Dänemarks
bleibe damit erhalten. Italien, wie Frankreich nicht gerade ein
Musterland, was die Verschuldung anbelangt, habe aber einen wesentlichen
Vorteil (auch gegenüber der Schweiz), weil es sein Rentensystem nach
dem Modell Schwedens von der Demografie und vom Bruttoinlandprodukt
abhängig gemacht hat. Trotzdem habe Italien Verbesserungspotential: Beat
Kappeler hat einem italienischen Professor, einem Freund von Pepe
Grillo, einen Auszug des schweizerischen Obligationenrechts
(Arbeitsrecht) geschickt, worauf der Professor meinte, dies könne nicht
die ganze Wahrheit des Schweizer Erfolgsmodells sein! In der Tat wäre
das aber ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Ein weiterer Denkfehler: Keynesianismus
Früher war es üblich, dass der Staat während Krisen sich in Sparsamkeit
übte und mit gutem Beispiel voranging. Heute hingegen seien nach Meinung
des Referenten alle dem Geist des Professors Keynes erlegen. Während
der Krise sei demnach die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu steigern,
in guten Zeiten sei aber zu sparen, d.h. Budgetüberschüsse zu
generieren. Diese Theorie sei gleich von mehreren Fehlern geprägt: Erstens widerspreche sie der politischen Realität, dass Politiker im Boom sparen, zweitens profitieren von der staatlichen Ankurbelung nur die alten, bereits bestehenden (oft ineffizienten) Industrien und drittens verpufft ein Grossteil der Massnahmen über die offenen Märkte und Grenzen.
In Staaten wie der Schweiz oder in den USA hat das Volk mit der
Schuldenbremse die Schuldenmacherei frühzeitig gestoppt. Für Kappeler
könne, ganz nach Mises, nur der Unternehmer die Ökonomie
nachhaltig gestalten, der Staat habe keine Mittel dazu. Das Ende der
keynesianischen Politik unterstreicht der Referent mit folgendem Zitat
des Pimco-Mitarbeiter Tony Crescenzi: "Der keynesiansiche Endpunkt ist
erreicht“.
Abwertung der eigenen Währung als Lösung
Kopfrechnen täte einigen Politikern und Entscheidungsträgern gut. Wenn
das Defizit (in % des BIP) jahrein, jahraus grösser als das nominelle
(und reale) Wachstum des Bruttoinlandprodukts sei, ist die Schuldenfalle
absehbar. Im Euroraum stelle sich zudem ein weiteres Problem: „Der Euro
ist eine Währung ohne Staat, die Mitgliedstaaten des Euro sind jedoch
Staaten ohne Währung“. Eine (interne) Abwertung sei damit verunmöglicht.
Jeder einzelne Euro an Schuld muss damit zurückgezahlt werden. Dies sei
schon ein schreckliches Austeritäts-Korsett, in welches die
südeuropäischen Länder geschnürt wurden. In der Diskussion wurde
dieses Entschuldungskonzept in Frage gestellt, denn über die Target
2-Salden der europäischen Notenbanken erfolge nach Meinung eines
Teilnehmers sehr wohl eine interne Abwertung. Demnach habe, wie Kappeler
bestätigt, Deutschland Guthaben gegenüber den anderen Staaten im Umfang
von mehreren hundert Milliarden (!) Euro. Italienische Unternehmer
kaufen dank tieferer Bewertung ihrer „italienischen“ Euros deutsche
Unternehmen auf, so ein Teilnehmer. Eine Umverteilung von Norden nach
Süden!
Kanada und Schweden haben in den 1990er Jahren erfolgreich gezeigt,
welche Vorteile eine interne Abwertung haben kann. Als währungssouveräne
Staaten konnten sie - neben den wichtigen Strukturreformen im Post- und
Gesundheitswesen und des Rentensystems - ihre Wettbewerbsfähigkeit
innert weniger Jahre wieder herstellen. Die (laufenden) Renten werden in
Schweden - wie in Italien - jährlich an die demografische und
volkswirtschaftliche Entwicklung angepasst.
Geldpolitik und Inflation von besonderem Interesse für die TeilnehmerInnen
Wie sich in der Diskussion herausstellte, werden gerade die
geldpolitischen Massnahmen sehr kritisch hinterfragt. Für Kappeler
können sie ihren Teil dazu beitragen, die Wirtschaft wieder in Schwung
zu bringen, jedoch müssen Strukturmassnahmen parallel dazu eingeleitet
werden. Im Gegensatz dazu sehen einige Teilnehmer das Problem darin,
dass gerade die (überzogene) Geldpolitik Anreize zur Behebung
struktureller Defizite verhindere. Staaten, die sich günstig über die
monetäre Seite finanzieren können, verspüren nicht den Druck des
Marktes, Reformen durchzuführen. In der Folge brach eine lebhafte
Diskussion aus, ob überhaupt noch von einem freien und effizienten Markt
gesprochen werden kann, wenn über monetaristische Geldpolitik mit ihren
Verfälschungen des Marktzinses und damit konvergierender Zinsen aller
Eurostaaten, unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit, debattiert wird.
Ein weiteres Thema war die Bilanzverlängerung der Zentralbanken,
insbesondere der Schweizerischen Notenbank (SNB). An verständlichen
Darstellungen hat der Referent den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die
Bilanz erklärt und welche Implikationen mit allfälligen Veränderungen
(Abschreibungen bei zunehmender Rezession etc.) zusammenhängen. Auf die
Frage, wann die Inflation im Sinne steigender Preise komme, antwortete
Beat Kappeler, dass wir bereits eine Asset Price Inflation (Aktien,
Bonds, Immobilien etc.) beobachten können und es nur eine Frage der Zeit
sei, bis die Mieten über die höheren Immobilienpreise und
Rohstoffpreise ansteigen werden. Viel des frisch geschaffenen Geldes sei
zudem noch nicht im Wirtschaftskreislauf angekommen. Für die Staaten
sei es eine doppelte Entlastung, denn über die Inflation können
sie einerseits mehr Einnahmen generieren (alle Steuern bauen auf
laufenden Preisen und Einkommen auf) und zugleich sinkt ihre
Schuldenlast (Schulden noch zu alten Preisen). Von einer Hyperinflation
im Stil der Weimarer geht der Referent aber nicht aus.
Schliesslicht spielte auch China als zweitgrösster Gläubiger der USA
(nach der US-Notenbank FED) eine Rolle in den Diskussionen. Über diese
Positionen ist China fest mit dem US-Schlamassel „verkrallt“. Jeder
Verkauf würde zu Verlusten der eigenen Positionen führen; um die
Kaufkraft der USA und den Dollarkurs zu erhalten, muss China zudem bei
Neuemissionen nachkaufen. Das Ziel Chinas sei sicherlich, die eigene
Währung Yuan Renminbizu einer neuen Leitwährung zu machen,
jedoch sprechen die Verhältnisse in China dagegen, insbesondere die
Intransparenz der staatlichen Entscheide sei noch zu gross, so Kappeler.
Rechtsstaat ade?
Die Mitgliedstaaten des Euroraums haben mehrfach - sogar einvernehmlich -
das eigene Recht gebrochen. So wurden bereits im Jahr 2004 die
Maastricht-Kriterien für die laufenden Staatsdefizite von Deutschland
und Frankreich ausgehebelt. Weshalb sollten sich denn Griechenland und
Spanien daran halten?! Dasselbe hat in der laufenden Krise mit der
(indirekten) Staatsfinanzierung, den Kapitalverkehrskontrollen (vgl.
Zypern 2013) und dem ESM wiederholt stattgefunden. Der ESM ist nach
Kappelers Ansicht nichts Anderes als ein Scheingebäude der Stabilität
und des Rückhalts der südeuropäischen Länder. Wenn es hart auf hart
komme, werden die Versprechen kaum eingelöst werden können. Jedoch sei
Deutschland über die Target 2-Salden (Guthaben gegenüber fremden Staaten
und ihre Unternehmen) fest in die Krise eingebunden! Nur schon darum
könne Deutschland nicht für die Aufhebung des Euros sein, so der
Referent. Schliesslich hat Kappeler an Beispielen eindrücklich
aufgezeigt, dass auch die Schweiz vor Verfassungsbrüchen nicht geschützt
ist.
Verbesserungsvorschläge
Für Beat Kappeler steht die Liberalisierung der Arbeitsmarktpolitik im
Vordergrund. Es müsse wieder einfacher sein, Arbeitnehmer zu entlassen,
ohne immer gleich von Klagen bedroht zu sein. Nur so werden in guten
Zeiten Arbeitnehmer auch mit unbefristeten Verträgen eingestellt. Zudem
schlägt er vor, dass Arbeitnehmer vermehrt am Gewinn des Betriebs
beteiligt werden, womit in guten Zeiten ihre private Vermögensbildung
gefördert wird, in schlechten Zeiten hingegen der Betrieb stabilisiert
wird und damit auch die Arbeitsplätze eher gehalten werden können. Damit
bevorzugt Kappeler ein Modell der Primärverteilung, in dem Löhne und
direkte Kapitalbeteiligungen eine Rolle spielen, im Gegensatz zum heute
weit verbreiteten Modell der Sekundärverteilung, wo der (ineffiziente)
Staatsapparat seine Finger im Spiel hat.
Verfasser: Fabio Andreotti