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Thema: "Privatrechtsgesellschaft - Abschaffung der staatlichen Monopole?"
Der Einladung des Liberalen Gesprächskreises sind am 15. Oktober 2013 über 60 Personen gefolgt, um Prof. David Dürrs Aussagen zu einer Gesellschaftsordnung - als Alternative zur staatlichen Ordnung - zu debattieren.
Einführung
In
gewohnt entspannter Manier hat David Dürr, Rechtsanwalt und
Titularprofessor an der Universität Zürich, seine Vorstellungen einer
„natürlichen“ Ordnung (oder Privatrechtsgesellschaft) dargestellt. Dabei
hat er von Beginn weg klargestellt, dass auch ein Wechsel in eine
Privatrechtsgesellschaft nicht frei von Friktionen für die Menschen sein
würde. Das Paradies gebe es auf Erden nicht, nur sei die natürliche
Ordnung aus verschiedenen Gründen der heutigen vorzuziehen. An dieser
Stelle führte Dürr ein Argument an, das aus seinem Buch stammt: In
„Staats-Oper Schweiz - wenige Stars, viele Staatisten“ (Bern, 2011) hat
er die ernüchternd tiefe schweizerische Demokratiequote von gerade
einmal 0,09096% berechnet. Auf den Einwand „L’état, c’est nous“ eines
kürzlich erhaltenen Leserbriefs hat Dürr entsprechend reagiert: Von
einem „unsrigen Staat“, indem wir angemessen vertreten sind, könne bei
der genannten Demokratiequote der Schweiz(!) nicht die Rede sein.
Drei Prämissen
Von folgenden drei Prämissen geht Dürr aus, wenn er von der Privatrechtsgesellschaft spricht: Erstens würde diese der heutigen Welt gleich sein; menschliches Zusammenleben und die Umwelt sähen nicht plötzlich anders aus. Zweitens
würden die Menschen ihre Umwelt selbst gestalten, d.h., sie könnten
sich freiwillig einer privaten Gemeinschaft oder Gruppe anschliessen und
auch wieder austreten. Dies im Gegensatz zur heutigen Situation, wo
eine kleine (elitäre) Minderheit über eine Mehrheit bestimme, ohne dass
letztere ausweichen könnte. Und drittens würde auch diese Welt ohne Staat wohlgemerkt nicht das „Paradies auf Erden“ darstellen.
Wie sieht eine solche Privatrechtsgesellschaft im Detail aus?
Für alle Juristen im Publikum gab es vorweg Entwarnung: Auch in einer
Privatrechtsgesellschaft gäbe es ein Bedürfnis nach Regeln, aber in
einem wesentlich kleineren Umfang. Streitigkeiten innerhalb einer
Gemeinschaft würden durch Regeln geschlichtet, welche von der
Gemeinschaft und ihren Mitgliedern verfasst worden sind. Die Mitglieder
dieser Gemeinschaft würden sich diesen Regeln bewusst und freiwillig
unterwerfen. Wie sich in der Diskussion herausstellte, kennen gewisse
Staaten bereits solche poly-rechtlichen Systeme (z.B. Grossbritannien
mit der Anerkennung von Scharia-Rechten). Und bereits heute kennen wir
natürlich die private (aussergerichtliche) Streitschlichtung als
eine in vielen Staaten bevorzugte Lösung von Auseinandersetzungen
ökonomischer Art. Für Streitigkeiten unter mehreren Gemeinschaften
ordnet Dürr gewisse praktische Schwierigkeiten, weil es ja keine
übergeordnete Instanz geben darf. Er hält dafür aber zwei Ansätze
bereit: Einerseits gälten auch unter mehren Gemeinschaften gewisse
Naturgesetze, die zu einer konfliktfreien Lösung führen könnten.
Andererseits würden völkerrechtliche Mechanismen, wie wir sie heute
kennen, eine (politische) Lösung ermöglichen. Leider sehen wir aktuell
aber auch, wie gut (oder schlecht) die suprastaatliche Selbstregulierung
funktioniert, wenn wir beispielsweise unseren Blick auf die politischen
Spannungen im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Syrien werfen.
In der Privatrechtsgesellschaft würde das Gewaltmonopol unter
privaten Anbietern aufgeteilt. So sei es nach Dürr gut möglich, dass
Securitas und Protectas private Streitschlichtungsmechanismen
etablierten, welche wie die heutige Polizei nur effizienter,
zuverlässiger und dezentral funktionieren würden. Weiter wäre auch das
Prinzip der Rule of Law und nicht das Recht des Stärkeren in einer
solchen Ordnung viel eher eingehalten als heute: Das staatliche
Gewaltmonopol verkörpere ja in Reinform das abscheuliche Recht des
Stärkeren, das in der Vergangenheit immer wieder zu Kollisionen mit der
menschlichen Würde geführt habe (nationalsozialistisches und
stalinistisches Regime als Beispiele). Auch der Staat sei demnach dem
gleichen Recht zu unterwerfen, was heute in vielen Fällen nicht erfüllt
sei (z.B. bei Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und dem Staat im
Verwaltungsverfahren, wo Richter „in eigener Sache“ urteilen).
Wie steht es aber um die sozial schwächeren Mitglieder unserer
Gesellschaft? Dürr gibt Entwarnung. Es wäre ja nicht so, dass in Zukunft
kein Bedürfnis nach Versicherung und Vorsorge mehr bestünde. Wie heute -
nur ohne Regulierung und staatliches Obligatorium - böten
beispielsweise Krankenversicherungen ihre Dienstleistungen an. Die
blosse Entrüstung, die heute bei den Menschen entsteht, wenn schwache
Mitglieder der Gesellschaft vernachlässigt werden, sei, so Dürr, ein
Zeichen für das soziale Wesen „Mensch“. Auch in der
Privatrechtsgesellschaft gäbe es karitative Organisationen, welche sich
um Menschen, mit denen es das Schicksal nicht gut gemeint hat, kümmern
würden.
Herrschaftsverhältnisse
Im Gegensatz zur heutigen Welt sähe die private Ordnung
höchstwahrscheinlich auch territorial anders aus: Gebilde wie die
heutigen Grossstaaten gäbe es nicht mehr. Diese seien meistens künstlich
(d.h. politisch) geschaffen und entsprächen keinem menschlichen
Bedürfnis. Die Gefahr von Oligarchien bestünde natürlich, nur sei diese
nach Dürr immer noch weniger schlimm als bei den heute entarteten
Monokratien (im Sinne eines „mono“, das keine freie Wahl zulässt).
In der Diskussion zeigte sich noch ein weiterer Aspekt von Herrschaft:
Es bestünde in der praktischen Umsetzung der Privatrechtsgesellschaft
das Risiko, dass die Macht, die heute beim Staat liegt, bloss durch ein
neues Unterordnungsverhältnis abgelöst würde. Solche Pendelbewegungen
können wir beispielsweise in Ägypten beobachten
(Mubarak-Muslimbrüder-Militär-...), das unter bürgerkriegsähnlichen
Zuständen leidet.
Utopia liegt in...?
Es gibt keine echte Privatrechtsgesellschaft heute. Der Föderalismus der
Schweiz sei aber eine beachtenswerte Form, für die Dürr gewisse
Sympathien hat, weil sie das „Obermonopol“ des Bundes durchbricht.
Immerhin könne man die Erdkugel als solche als eine Form von „privater“
Gemeinschaft ansehen. Hier spiegelt sich wieder der völkerrechtliche
Ansatz, den Dürr bereits zuvor angesprochen hat. Leider befinden sich
die Nationalstaaten aber auf dem Weg mit dem bewussten Ziel einer
obersten Weltinstanz, wie das heutige überstaatliche Steuerkartell gut
zeige. Die Schweiz würde sich, so Dürr, sehr gut eignen, um erste
experimentelle Schritte hin zu einer privaten Gesellschaft zu wagen.
Dies war auch eine Forderung eines Teilnehmers an die in dieser Hinsicht
unkritischen Universitäten. Der Staat könne ja selbst dann bestehen
bleiben, er müsse den austrittswilligen Menschen nur eine friedliche
Möglichkeit geben, sich von ihm zu trennen. Das entspräche echter
Toleranz! Die Umsetzung einer Privatrechtsgesellschaft könne immerhin
durch einen Punkt begünstigt werden: Viele westliche Nationen ignorieren
systematisch die ökonomischen Gesetze (z.B. Verschulden ohne Sparen),
denen auch sie unterworfen sind. In diesem Zusammenhang haben einige
Diskussionsteilnehmer auch das Geldmonopol des Staates kritisiert, das
wesentliche Teile des heutigen Staatsapparates (Wohlfahrtsstaat,
Kriegsindustrie etc.) erst ermöglicht, ohne freilich dabei Wohlfahrt zu
schaffen oder Kriege zu verhindern.
Offene Fragen
Es verblieben natürlich auch nach Abschluss einer langen und
kontroversen Diskussion nicht wenige offene Fragen: Wie würden
beispielsweise Kinder und Waisen geschützt, die dem in ihrer
Gemeinschaft bestehenden Recht, das beispielsweise Pädophilie nicht
sanktioniert, nicht entkommen können? Bestehe nicht ein natürliches -
beispielsweise psychologisches oder anthropologisches - Bedürfnis des
Menschen, dass eine zentrale Gewalt letztinstanzlich für so etwas wie
eine jeden Menschen umfassende Gerechtigkeit sorgt? Würden sich nicht
automatisch wieder Strukturen herausbilden, welche den staatlichen
Defiziten entsprächen? Wer würde dies verhindern? Trotz dieser offenen
Fragen kann man David Dürr dankbar sein, dass er diese Diskussionen
überhaupt erst ermöglicht. Der Abend des 15. Oktobers war in dieser
Hinsicht ein seltener Lichtblick in der sonst unkritischen
Auseinandersetzung mit solchen Themen.
Verfasser: Fabio Andreotti